Selbstbestimmung hat Grenzen

„Wie möchte ich sterben?“ – Es lohnt sich, die Frage früh zu stellen. Dies zeigte sich an der Versammlung der Grauen Panther vom 6. Mai 2024 in der Kantonsbibliothek Baselland. Aber: Vollständige Selbstbestimmung gibt es nicht.

Würden die Leute kommen? Die Frage stellte sich ernsthaft. Denn die Grauen Panther Nordwestschweiz gehen zwar traditionell immer wieder mit ihren Veranstaltungen in den Kanton Baselland, aber in der Regel sind es stadtnahe Säle, wo man sich trifft. Nach Liestal und weiter hinauf – das ist ein Risiko, weil viele Mitglieder in Basel-Stadt und im Unterbaselbiet wohnhaft sind und den Weg scheuen könnten. Doch das Thema beschäftigt offensichtlich so stark, dass mehr als 100 Pantherinnen und Panther den Weg in die als Treffpunkt bestens geeignete Kantonsbibliothek in Liestal fanden. Vorbereitung und Moderation der Veranstaltung lagen in den Händen von Rita Heinzelmann, Marc Joset und Thomas Kamber.

Keine „Aufmarschpläne“

„Ich neige nicht dazu, denjenigen die mich überleben, alles exakt vorzuschreiben.“ So eröffnete Michael Bangert, christkatholischer Pfarrer und Theologieprofessor, seinen Kurzvortrag. Er erlebe immer wieder, dass es für Abdankungen „Aufmarschpläne“ der Verstorbenen gebe, die exakt eingehalten werden. Für ihn persönlich wäre es hingegen ein Ziel, das Leben aus der Hand zu geben, ohne die anderen unter Druck zu setzen, die mit seinem Sterben zu tun haben.

Zwar habe er durch Patientenverfügung, Vorsorgeauftrag und Testament alles geregelt, doch möchte er sich gerne eine „Lücke“ lassen. Denn: „Ich mache aus meinem Leben keine Maschine, ich will keine Automatismen.“ Im Übrigen würden weder er noch seine christkatholische Kirche den Freitod verteufeln.

Konzept der Wohlstandsgesellschaft

„Ein selbstbestimmtes und würdevolles Lebensende ist möglich“, hiess der Untertitel der Veranstaltung. Klaus Bally, Arzt und Vorstandsmitglied von „palliative BS+BL“, wies darauf hin, dass es ein Privileg sei, sich Fragen dazu überhaupt stellen zu dürfen. Viele Generationen seien gestorben, wie es eben kam, sei es zuhause, auf dem Schlachtfeld oder im Siechenhaus. Man habe sich in früheren Zeiten nicht auf die letzte Lebensphase vorbereitet, sondern vielmehr auf das, was nach dem Tod kommt. In vielen Regionen der Welt und zum Teil auch noch bei uns sei dies nach wie vor der Fall.

Palliative care, so wie es heute gelehrt wird, sei ein Konzept der „säkularisierten Wohlstandsgesellschaft“ – ausgerichtet auf die Autonomie des Patienten/der Patientin und die „informierte Entscheidungsfindung“. Wir als kranke Menschen entscheiden aktiv mit, wie der Sterbeprozess verlaufen soll. Auch dies ein junges Konzept. Erst seit gut zehn Jahren gelte die Patientenverfügung als rechtsverbindliches Instrument.

Die Vorstellungen von einem „guten Sterben“ seien sehr unterschiedlich. Bei den einen stehe der Schutz vor Schmerzen im Vordergrund, für andere seien es ihre Beziehungen, die Anwesenheit geliebter Menschen oder – und das sei typisch schweizerisch – dass alles geregelt ist: die Finanzen, das Auskommen der Angehörigen, der Ort des Abschieds, zu Hause, im Spital… Seine Erfahrung als Arzt sei es, dass wir das Sterben auch mit der besten Patientenverfügung nur zum Teil selbst bestimmen können. „Die meisten von uns kommen am Ende an den Punkt, wo andere für sie entscheiden müssen.“

Palliative care sei eine Kultur, mit schwerkranken Menschen umzugehen. Sie dürfe sich nicht auf die Medizin beschränken, sondern erstrecke sich auch auf das seelische Wohlbefinden und das Befinden des sozialen Umfelds. Das könne und solle früh in den Blick genommen werden, idealerweise schon zum Zeitpunkt der Diagnose eines Tumors, einer Herzkrankheit oder einer Demenz. Aber: „Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass nicht alles vorbereitet werden kann.“

„Denken in Alternativen“

Marion Schafroth ist Ärztin und seit 2019 Präsidentin von EXIT, der grössten Sterbehilfe-Organisation der Schweiz mit über 160’000 Mitgliedern. Sie war sogleich bestrebt dem Verdacht zu begegnen, sie wolle für den begleiteten Freitod werben. „Mein Ziel ist nicht das Sterben mit EXIT. Ich würde es durchaus vorziehen, den natürlichen Verlauf zu erleben.“ Freitodbegleitung sei für sie der „Plan B“. Es gehe um das Denken in Alternativen.

Laut Gesetz seien weder der Suizid noch die Beihilfe dazu strafbar, es sei denn, dies erfolge aus „eigennützigen“ Motiven. Gemäss Bundesgerichts-Urteilen sei die Beihilfe nicht strafbar, wenn der Sterbewunsch von einer urteilsfähigen Person geäussert werde, „wohlerwogen“ – das heisst in Kenntnis der Alternativen – erfolge, über eine längere Zeit konstant also nicht spontan sei, und schliesslich autonom entstanden sei, also nicht auf Druck von aussen. Selbstbestimmung oder Mitbestimmung am Lebensende heisse nicht nur Freitodbegleitung, sondern sich Gedanken machen und mit Personen des Umfelds sprechen, die allenfalls stellvertretend entscheiden müssen.

Viele Ärzte würden aufgrund ihrer ethischen Einstellung eine Begleitung verweigern. Hier komme EXIT oder eine andere Organisation ins Spiel, indem sie eine Begleitperson stellt, die mit den Sterbewilligen spricht, die Lage analysiert, sie – falls es zu einem Freitod kommt – bis zum Ende begleitet. EXIT kann auch dabei unterstützen, zu einem ärztlichen Rezept zu kommen. Wichtig sei aber: Jede Art der Beihilfe zum Suizid ist absolut freiwillig. Niemand hat das Recht, solche Hilfe einzufordern.

Eine lebhafte Fragerunde schloss sich an und zeigte viele Facetten des Themas auf. Jedes Schicksal muss individuell angesehen und besprochen werden. Unterstützung gibt es. Die Referierenden wiesen speziell auf das Angebot von GGG Voluntas hin (ggg-voluntas.ch). Dazu gehört und wurde empfohlen ein „Letzte Hilfe-Kurs – Umsorgen von schwerkranken und sterbenden Menschen am Lebensende“.

Heinz Weber